Mit
Hilfe der Spiegelneurone simuliert unser Gehirn, was
andere tun. Genau das
könnte Schlaganfallpatienten nutzen.
Faszinierend! Mehr
fiel Mister Spock eigentlich nie ein, wann immer der berühmte Halbvulkanier
aus
der Sciencefiction-Serie »Star Trek« das merkwürdige Gebaren eines Erdlings
sah. Einfach faszinierend, was so viel hieß wie seltsam, fremdartig, unverständlich.
Denn Spock, der kühle Rationalist, wurde vom menschlichen Tun oft einfach überrumpelt.
Offenbar
mangelte es ihm – im Gegensatz zu uns Menschen – an der Fähigkeit, die
Absichten anderer blitzschnell zu erkennen. Wie unser Gehirn diese Leistung
vollbringt, war lange Zeit unbekannt. Bis vor wenigen Jahren untersuchten Neurowissenschaftler
fast ausschließlich solche Prozesse, die das Individuum allein betrafen – nicht
jedoch, wie wir unsere Erfahrungen, Gedanken und Gefühle intuitiv miteinander
teilen. Mit der Entdeckung der Spiegelneurone hat sich das schlagartig
geändert. Diese äußerlich völlig unscheinbaren Nervenzellen verblüff en durch
ihre doppelte Funktion: Sie werden bei zielgerichteten Aktionen aktiv, egal ob
wir diese selbst ausführen oder nur an anderen beobachten. Entsprechend sollten
Spiegelneurone im menschlichen Gehirn vor
allem in jenen Regionen verbreitet sein, die Handlungen planen und initiieren. Dieses
System umfasst neben dem primären motorischen Cortex, der Bewegungsimpulse an
die Muskeln schickt, vor
allem das prämotorische sowie das supplementär-motorische Areal. Sie haben die
Aufgabe, komplexere Bewegungsabläufe zu planen und die notwendigen Einzelschritte
zu koordinieren. Schon 1995 hatten Forscher um Giacomo Rizzolatti von der
Universitätin Parma mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT)
entdeckt, dass bloßes Betrachten der Handlungen anderer
auch motorische Areale im Gehirn des Zuschauers aktiviert. Unsere Wahrnehmung
setzt also offenbar eine Art innere Simulation in Gang, ein inneres Nachvollziehen
fremden Tuns.
2001
ging ein Team unter Leitung von Giovanni Buccino, ebenfalls in Parma, diesen
Hinweisen nach. Die Forscher bestimmten die Hirnaktivität von Probanden,
während diese Videosequenzen von Mund-, Hand- oder Fußbewegungen sahen.
Tatsächlich schlug je nachdem, welcher Körperteil auf dem Bildschirm
in Aktion trat, der motorische Cortex der Beobachter an einer anderen Stelle
besonders stark an – eben in der für das jeweilige Köperteil zuständigen Region.
Die Erregung blieb zwar unterschwellig;
die Probanden bewegten sich also nicht. Dennoch scheint das Gehirn das Sehen
fremder Bewegungen mit dem Planen eigener zu verknüpfen.
Wie
kommt dieser Transfer genau zu Stande? Lässt er sich vielleicht sogar zur
Behandlung
bestimmter neurologischer Störungen nutzen? Dies wäre zum Beispiel bei
Patienten denkbar, die infolge eines Schlaganfalls Probleme mit der Motorik
haben. Auf Grund einer Hirnschädigung können bei ihnen einzelne Gliedmaßen
gelähmt sein oder es gelingt den Betroffenen nicht mehr, bestimmte Bewegungsabläufe
zu koordinieren.
Solche
Ausfälle lassen sich im Lauf der Rehabilitation zwar oft zu einem gewissen Grad
beheben – benachbarte Hirnareale übernehmen dann nach und nach
die Funktion des zerstörten Nervengewebes. Allerdings müssen die Patienten dafür
sehr lange und intensiv trainieren. Hilft es ihnen vielleicht, wenn sie die neu
zu erlernenden Bewegungen zuvor beobachten können? Gut möglich, dass die
Koordination leichter fällt, wenn man die daran beteiligten
Spiegelneurone
in einer Art Trockenübung anregt.
Dieser
Idee folgend entwickelten wir am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in
Lübeck ein Rehabilitationsprogramm für Patienten, deren motorische Rindenareale
durch eine Hirnblutung geschädigt worden waren. Die Probanden sahen dabei
zunächst die sechsminütige Filmaufnahme einer Folge von Bewegungen – zum
Beispiel: Arm ausstrecken, Hand öffnen, Greifen nach einem
Apfel und diesen zum Mund führen, um davon abzubeißen (siehe Bildersequenz
oben).
Gleich darauf versuchte der Patient das Gesehene selbst aktiv zu imitieren, um die
Repräsentation des Ablaufs im Gehirn zu festigen. Mit Erfolg: Die motorischen
Fähigkeiten der Studienteilnehmer
verbesserten sich im Verlauf des 40-tägigen Trainings deutlich schneller als in
der Vergleichsgruppe, die keine Videotherapie erhielt. In einer weiteren,
kürzlich durchgeführten Studie
mit 22 Schlaganfall-Patienten, die Schwierigkeiten mit Arm- und Handbewegungen
hatten, konnten wir dieses Ergebnis bestätigen: Ein entsprechendes Bewegungstraining
schlug rascher an, wenn die Betroffenen vor jeder Übungsstunde jeweils kurze
Filme betrachteten, in denen alltägliche Handgriff e gezeigt wurden. Mit Hilfe
der funktionellen Magnetresonanztomografie konnten wir zudem zeigen,
dass parallel zu dieser motorischen Verbesserung – etwa beim Greifen nach
einem Objekt – auch die zuständigen Cortexareale vermehrt arbeiteten.
Jene
Hirnregionen, die Bewegungspläne schmieden, wurden offenbar gestärkt; die
innere Simulation erleichtert es somit tatsächlich, Bewegungen auch selbst
wieder auszuführen. Wie frühere Studien bereits gezeigt hatten, reagieren
Spiegelneurone auf eine große Bandbreite unterschiedlicher Bewegungen. Einander
überlappende Netzwerke sprechen auf unterschiedliche Aktionen an
– ob wir nun nach einem Gegenstand greifen, in einen Apfel beißen oder gegen
einen Fußball treten. Dabei ist es nicht einmal zwingend notwendig, dass wir
dies von einem Vertreter unserer eigenen Spezies vorgeführt bekommen: Die
Arbeitsgruppe von Giovanni Buccino zeigte Probanden verschiedene Videoaufnahmen
von Mundbewegungen eines Menschen, eines Affen beziehungsweise eines Hundes.
Die Bewegungen waren mal auf ein Objekt gerichtet – sprich, etwas wurde
verspeist – oder
aber sie hatten rein kommunikativen Charakter. Der Mensch bewegte in diesen
Sequenzen den Mund wie beim Sprechen, der Affe schürzte die Lippen und der Hund
bellte. Interessanterweise aktivierten Kaubewegungen von Menschen wie von
Tieren gleichermaßen das Spiegelneuronensystem.
Beim
kommunikativen Lippenspiel dagegen trat die neuronale Resonanz nur dann auf,
wenn der Vorführer ein Artgenosse war. Spiegelneurone reagieren also möglicherweise
nur auf solche Aktionen, die zum eigenen motorischen Repertoire gehören.
Hundebellen zählt nicht dazu – entsprechend findet keine innere Simulation statt.
Unter
Umständen hängt die Spiegelzellaktivität also auch davon ab, wie vertraut uns
das Gesehene ist. Bei unserem Videotraining übten die Patienten daher ausschließlich
solche Bewegungen, die sie früher beherrscht hatten. Ganz unbekannte Koordinationen
zu meistern, etwa um eine neue Sportart zu erlernen, müssen sehr viel bewusster
kontrolliert werden: Wer noch nie einen Aufschlag im Tennis serviert hat,
bekommt dies kaum durch reines Beobachten und spontanes Imitieren hin. Noch
etwas ist für die klinische Anwendung möglicherweise bedeutsam: Ein und
dieselbe Bewegung kann in verschiedenen Zusammenhängen auftauchen und
unterschiedlichen Zielen dienen.
Wenn
jemand am Frühstückstisch nach dem Kaffeebecher greift, will er vielleicht einen
Schluck daraus nehmen – oder aber die Tasse abräumen. Müssen sich Probanden
bewusst auf eine
bestimmte Handlungsabsicht konzentrieren, um die eigenen prämotorischen Zentren
zu aktivieren? Marco Iacoboni von der University of California in Los Angeles
ging dieser Frage in einem Experiment nach.
Handeln im
Kontext
Auch seine Testpersonen betrachteten kurze Filme, in denen die
gleiche Bewegung jeweils ganz verschiedenen Zielen diente: Jemand griff mal
nach einer Tasse, um daraus zu trinken – mal, um sie abzuspülen. Den Probanden
wurde die Greifbewegung aber auch losgelöst vom Kontext – dem gedeckten Küchentisch – präsentiert, sowie auch nur
das Ensemble aus Teller, Besteck und Tasse allein, also ohne dass sich
irgendetwas bewegte.
Ergebnis: Weder die motorische Aktion noch die Umgebung allein
aktivierten die Spiegelneurone so stark wie die Kombination aus beiden – denn
nur diese lässt den Rückschluss darauf zu, was der Handelnde im Schilde führt.
Entsprechend mag auch der Kontext der beobachteten Bewegungsabfolge eine Rolle spielen.
»Blinder Aktionismus« ohne erkennbares Ziel könnte beim (Wieder-)Erlernen von
Bewegungen weniger wirksam sein. Ob dies tatsächlich so ist, müssen weitere Studien jedoch erst noch belegen. So viel steht aber heute
schon fest:
Die innere Simulation mittels Spiegelzellen lässt uns nicht nur
die Absichten anderer intuitiv erschließen. Sie ermöglicht es auch Patienten
nach einem Schlaganfall, verloren geglaubte Bewegungen schneller wieder zu
meistern.
Ferdinand Binkofski ist
Neurologe und Neurowissenschaftler am
Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein, Campus
Lübeck.
Sein Fachkollege Giovanni
Buccino forscht an der Universität Parma.
» Gehirn&Geist, Oktober 2006
Literaturtipps
Binkofski, F., Buccino, G.: The Role of Ventral Premotor Cortex in
Action Execution
and Action Understanding. In: Journal of Physiology 99(4–6), 2006, S.
396 – 405.
Buccino, G. et al.: Neural Circuits Involved in the Recognition of
Actions Performed by Nonconspecifi cs: an fMRI Study. In: Journal of Cognitive
Neuroscience 16(1),
2004, S. 114 – 126.
Ertelt, D. et al.: Movement Observation has a Positive Impact on
Rehabilitation of Motor
Deficits after Stroke. In: Neuroimage, 2006
Iacobini, M. et al.: Grasping the Intentions of Others with One’s Own
Mirror Neuron System. In: Public Library of Science Biology 3(3), 2005, S. 529 –
535
LG Katharina K.
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